SPIEGEL ONLINE - 18. August 2000, 12:21
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,89501,00.html

Interview
 
"Ich scheue die Konfrontation nicht"

Icann-Kandidat Lutz Donnerhacke im Interview mit SPIEGEL ONLINE: Donnerhacke liegt derzeit bei den Unterstützungsstimmen auf Platz 3. Bekannt ist er vor allem durch seine Anonymitätsprojekte und sein Engagement im Usenet und bei Fitug. Christiane Schulzki-Haddouti befragte ihn zu seiner Kandidatur.

SPIEGEL ONLINE: Sie kandidieren für einen At-Large-Direktor-Posten. Was bedeutet das für Sie?

Lutz Donnerhacke
Foto: Christiane Schulzki-Hadouti
Lutz Donnerhacke
Donnerhacke: Es wäre keine Katastrophe für mich, nicht auf den Wahlzettel zu kommen oder dann die Wahl zu verlieren. Meine Kandidatur beruht auf der einfachen Überlegung, dass in ein Gremium, das technische Entscheidungen zu fällen hat, jemand gehört, der ausreichend Weitblick hat, um die technische, wirtschaftliche wie auch politische Notwendigkeit und Durchsetzbarkeit einer Entscheidung auch langfristig beurteilen zu können. Besonders die politischen Implikationen von rein technischen Entscheidungen sind mir nicht unbekannt. Allerdings hüte ich mich davor, sie überzubewerten.

SPIEGEL ONLINE: Auf welche Erfahrungen greifen Sie dabei zurück? Gerade im Bereich des Domain-Name-Schlichtungssystems ist unter anderem ja auch rechtliche Kompetenz gefragt.

Donnerhacke: Meine bisherigen Projekte und Erfahrungen haben mich mehrfach in juristisch relevante Bereiche geführt. So zum Beispiel meine Arbeiten zum Ewigen Logfile, zu digitalen Signaturen, amtlichen Veröffentlichungen via Web beim Bundesverfassungsgericht, zur anonymen Biometrie, zum Informations- und Kommunikationsdienstegesetz, zu anonymen Remailern oder zur Strafbarkeit von Postings. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich sehr viele Kontakte zu juristischen Institutionen gehabt, sei es in der Legislative, Judikative oder Exekutive und bin - obwohl kein Jurist - ernst genommen worden. Ähnlich sieht es bei Kontakten zur Wirtschaft aus. Es bestehen gute Kontakte zu Technikern und Geschäftsführern anderer IT- und TK-Unternehmen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Wählergruppen sprechen Sie an? Sie sind ja im CCC und bei Fitug aktiv.

Donnerhacke: Die Zusammensetzung der Icann-at-Large-Wählerschaft ist völlig unbekannt. Deswegen macht ein populistischer Wahlkampf - der mir sowieso nicht liegt - keinen Sinn. Meiner Ansicht nach werden die Wähler mich wählen, die mich für integer und unabhängig halten. Ein kleinerer Teil wird mich wegen vermuteter technischer oder sozialer Kompetenz wählen. Das ist zumindest mein Eindruck nach den ersten Rückmeldungen.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie Ihr Engagement finanzieren? Haben Ihnen Lobbyisten schon eine offizielle Unterstützung angetragen?

Donnerhacke: Danke für die Fangfrage. Zuerst einmal ist zu sagen, dass Icann die notwendigen Auslagen eines Direktors ersetzen kann. Ob, wie und in welchem Umfang das geschieht, ist derzeit unklar. Allerdings habe ich schon mit Politikern und Geschäftsleuten gesprochen. Eine direkte Unterstützung möchte ich nur seitens der Regierung annehmen. Unternehmen werden und können über den Fitug tätig werden, um hier keine zu große Abhängigkeit entstehen zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt konkret?

Donnerhacke: Die derzeitige Situation ist nicht ausreichend geklärt, um schon jetzt feste Zusagen vorlegen zu können. Einige Kandidaten haben Unterstützung zugesagt bekommen. Was geschieht eigentlich damit, wenn diese unabhängigen Kandidaten nicht gewählt werden? Ich kann mir eine Situation, in der ein Direktor aus Europa ein Treffen wegen fehlender Finanzen absagen muss, nicht vorstellen. Die Welt würde uns mit Häme überschütten.

SPIEGEL ONLINE: Konkret hoffen Sie auf Unterstützung durch das Bundesforschungsministerium?

Donnerhacke: Nein. Ich hoffe auf eine ausreichende Auslegung der Kann-Bestimmung der Icann-Satzung, die diese Diskussion substanzlos machen würde. Welche Ministerien sich für welche Unterstützung bereit erklären, ist für mich derzeit nicht absehbar. Ich wurde aber auf entsprechende Vorgespräche hingewiesen. Ein Icann-Direktor arbeitet ehrenamtlich. Das ist mir in jedem Fall klar. Es geht nur um die zwingenden Auslagen, die man braucht, um der Tätigkeit nachgehen zu können.

SPIEGEL ONLINE: Denken Sie, dass Sie die politischen Positionen des Forschungsministeriums tragen könnten?

Donnerhacke: Eine politische Gängelung über die Finanzschiene seitens eines Ministeriums würde zumindest bei mir zu unangenehmen Folgen führen. Ich bin mindestens in der Hinsicht ein Querkopf, der die notwendige Konfrontation, bei Bedarf auch öffentlich, nicht scheut.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie den Eindruck, dass Regierung und Industrielobby lieber altgediente Leute in Gremien wie Icann sehen wollen?

Donnerhacke: Ja. Das ist ja auch nur zu verständlich.

SPIEGEL ONLINE: Was sind für Sie die wesentlichen Punkte, die Sie bei Icann anbringen wollen?

Donnerhacke: Mir geht es um Stabilität und Zuverlässigkeit der Registraturdienste. Ich möchte das Feld nicht den Wirtschaftlern und Markenrechtlern überlassen, die eine TLD ".coco-cola" oder ".mercedes" durchzusetzen suchen. Auch die Gerichte sind nicht immer gute Ratgeber, wenn man an den Leipziger Fall mit der Telefonnummer 4711 für eine Taxifirma zurückdenkt. Soll in Zukunft die WIPO über 47.11.0.0/16 entscheiden? Auch wenn Marketingabteilungen den Unterschied zwischen Anschriftsadresse und Stichwortsystem nicht begreifen können, so ist er deswegen immer noch vorhanden. Ich kann das auch zwischen den Streitparteien vermitteln. Das habe ich im Usenet geübt.


 


© SPIEGEL ONLINE 33/2000
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags