Presseerklärung
1. Mai 1997
Am 28. April1997 hat der Bundesminister des
Innern, Manfred Kanther in seiner Rede zur Eröffnung des 5.Deutschen
IT-Sicherheitskongresses in Bonn vor einem erstaunten Fachpublikum
angekündigt, daßdie Bundesregierung beabsichtige, den Einsatz von
Verschlüsselungstechniken im Daten- undTelefonverkehr zu begrenzen.
Dadurch soll es den Sicherheitsorganen möglich sein, auch
dieverschlüsselte Kommunikation in Deutschland
zu belauschen und auf sie einzuwirken.
Nach Auffassung des Berufsverbandes der Datenschutzbeauftragten
Deutschlands (BvD) e.V ist diese Vorgehensweisenicht akzeptabel.
In nächster Zeit wird der Austausch von vertraulichen Informationen
immermehr über Netze (z.B. auch das Internet) abgewickelt werden. Dazu
ist eine sichere Verschlüsselungerforderlich.
Werden die Pläne von Bundesminister Kanther
tatsächlich umgesetzt, wird es in Deutschland keinen sicheren Datenaustausch
über Netze geben. Die Telekooperation von Ärzten,Rechtsanwälten,
Finanzdienstleistern, Steuerberatern usw. wird nur unter Mißachtung
von Geheimhaltungs- bzw. Schweigepflichten möglich sein. DasInformationelle
Selbstbestimmungsrecht von Patienten, Klienten, Kunden und Steuerzahlern
wirdausgehöhlt, das Zeugnisverweigerungs-recht ausgetrickst.
DieArbeit ganzer Gruppen von Forschern und Entwicklern, die auch im Zeitalter
der Telematik einenvertraulichen und sicheren Austauch von Informationen
gewahrt wissen wollen, wird auf der Müllhaldeder unerfüllten
Zukunftsvisionen landen.
Die Bundesregierung will mit der Einführung
des "Kanther-Dietrichs" in die Verschlüsselungsverfahren dieorganisierte
Kriminalität bekämpfen und damit das Leben der anständigen
Bürger sicherer machen.Leider wird jedoch die gute Absicht durch die
Wahl der Mittel in ihr Gegenteil verkehrt: Es wirdnicht nur die Vertraulichkeit
des Informationsaustauschs in Frage gestellt. Unbescholtene Bürger
und Firmen, die ihre Daten vertraulich austauschenwollen, laufen auch
noch Gefahr, durch einen ungeschickten Umgang mit Verschlüsselungsverfahren
kriminalisiert zu werden. Echte Kriminelle aber werden geschont.
Sie werden weiterhin weitgehend unbehelligtihren dunklen Geschäften
nachgehen können. Die Technik hält genügend Schlupflöcher
für sie bereit.
Denn: Wer in Zukunft ein Verschlüsselungsverfahren
verwendet, das sich mit dem Kanther-Dietrich nicht knacken läßt,
gerät automatisch (im wahrsten Sinne des Wortes!) in den Verdacht
der kriminellen Machenschaften.Auch dann, wenn er die erlaubten Verschlüsselungsverfahren
nur unsachgemäß angewendet hat.Leider ist der Einsatz von Verschlüsselungen
etwas schwieriger als das kleine Einmaleins.
Der echte Kriminelle aber kennt die Tricks:
Er wird z.B. seine miese Botschaft zunächst hintereinem verbotenen
aber sicheren Schlüssel verbergen, und sie dann ein zweites Mal so
verschlüsseln,daß der Kanther-Dietrich paßt. Wer jetzt
noch die verbotenen Schlüssel herausfiltern will, muß den
gesamten, also auch den legalen Nachrichtenverkehr einer automatischen
Kontrolleunterwerfen. Dann aber besteht die Gefahr, daß nicht
nur die durchgehende Verwendung dererlaubten Schlüssel abgefragt wird.
Es ist jetzt technisch ohne weiteres möglich, die Inhalte derNachrichten
gleich mit zu überprüfen. Schließlich ist es sehr viel
einfacher, elektronischausgetauschte Nachrichten unbemerkt auszuwerten
und zu archivieren als das gesprochene Wort amTelefon. Bekanthermaßen
gibt es bei der klassischen Telefonüberwachung in letzter Zeitbeunruhigende
Zuwachsraten.
Auch für diesen Fall heben die Kriminellen
noch eine Hintertür: Sie könnten
sich mitsogenannten steganographischen Verschlüsselungsverfahren (d.h.
dem Verstecken von geheimenBotschaften in elekronisch übertragenen
Bildern, Musikstücken usw.) vor Kanthers Kontrollenschützen.
Wenn es professionell gemacht wird, bemerkt man bei diesen Verfahren überhaupt
nicht mehr,daß verschlüsselte Nachrichten übermittelt werden.
Selbst wenn vielleicht im Augenblick der Sicherheitswert dieser Verfahren
für die Mafiosi noch nicht hoch genug ist: Durch die Pläne Kantherswerden
die steganographischen Verfahren - nicht zuletzt forciert durch mafiöse
Kreise - einen gewaltigen Entwicklungsschub erfahren.
Nicht näher eingegangen werden soll auf
die Sicherheitsrisiken, die sich aus der geplantenzentralen Hinterlegung
der Schlüssel ergeben. Hier nur soviel: Wer sich unbemerkt Kopien
dieserSchlüssel beschaffen kann, dem stehen ungeahnte Zuwächse
an Vermögen, Einfluß und Macht insHaus. Der Anreiz, an diese
Schlüssel heranzukommen, dürfte so groß sein, daß
gängigeSicherheitsmaßnahmen nicht ausreichen werden, um die
mit einer zentralen Schlüsselverwaltungverbundenen Risiken auf ein
erträgliches Maß zu reduzieren.
Das Szenario ist ähnlich, wie beim Großen
Lauschangriff: Um den Sicherheitsbedürfnissen desBürgers entgegenzukommen,
sollen seine von der Verfassung garantierten Grundrechte eingeschränktwerden.
Auch hier wird mit den eingesetzten Mitteln das angestrebte Ziel nicht
erreicht. Aber dieRepublik wird wieder etwas undemokratischer werden.
Prof. Dr. Gerhard Kongehl
Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Datenschutzbeauftragten
Deutschlands (BvD) e.V.
Professor für Datenschutz, Datensicherheit und
Technologiefolgenabschätzung der FH Ulm- Hochschule für Technik
Ulm, den 1.Mai 1997
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