Die Bundesregierung plant strikte gesetzliche
Regelungen für den Gebrauch von
Verschlüsselungstechnik.
Verschlüsselung oder
Kryptographie dient dazu, das
Briefgeheimnis bei elektronischer
Post (E-Mail) zu wahren, die ohne
diesen "Briefumschlag" für
Fremde lesbar ist. An starken
Verschlüsselungsprogrammen wie PGP
(Pretty Good Privacy) hat sich
der Staatsapparat bislang die
Zähne ausgebissen, weshalb sie
jetzt illegalisiert werden sollen.
Kanther will mitlesen. "Es gibt ein
berechtigtes Interesse, verbindlich
den Gebrauch solcher Verschlüsselungssysteme
in Computernetzwerken vorzuschreiben, die
das legale Abhören nach entsprechenden
richterlichen Verfügungen
ermöglichen", tönte Kanther am 28.
April 97 auf dem 5. Sicherheitskongreß
des Bundesamtes für Sicherheit in der
lnformationstechnik in Bonn. Auch der
Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses,
Wilfried Penner (SPD), teilt Kanthers Ansatz.
In einem vom geheimen
"Staatssekretärsausschuß für das
geheime Nachrichtenwesen und
die Sicherheit" in Auftrag gegebenen
geheimen Bericht, schlagen die
Schlapphüte eine generelle
Genehmigungspflicht aller
Kryptoverfahren vor Zugelassen werden
sollen nur Systeme, deren Code den
Behörden im Bedarfsfall zugänglich ist.
Verschlüsselungscodes müssen
demnach bei Verfassungsschutz und
Polizei hinterlegt werden, um im Falle
einer Abhöraktion jederzeit greifbar zu
sein. Wer künftig nicht genehmigte
Kryptosoft- oder Hardware vertreibt, soll
bestraft werden. Systeme wie PGP haben
aber gar keinen Generalschlüssel, und
wären damit verboten. "illegale
Nutzung solcher Software soll zu
weiterführenden Ermittlungen"
Anlaß geben.
Im Gegensatz dazu verlangt die
Wirtschaft jedoch nach wirksamer
Verschlüsselung im Internet, um digitalen
Kommerz und Kommunikation in
globalen Konzernstrukturen zu
entwickeln. Zur Ablehner-Fraktion eines
Kryptoverbots gehören deshalb
Wirtschaftsminister Günter Rexrodt,
Forschungsminister Jürgen Rüttgers und
andere. "Der Meinungsbildungsprozeß in
der Bundesregierung ist noch nicht
abgeschlossen, es gibt hier
unterschiedliche Interessen," meint
Dr Kiel, ein Sprecher des
Innenministeriums auf Nachfrage am 25.
April 97. Der Bundeskanzler, der
wahrscheinlich immer noch über den
Begriff "Datenautobahn" rätselt, steht
dagegen fest hinter seinem
Innenminister.
Wer etwas zu verbergen hat
Unheil zieht auf
Verfassungsschutzpräsident Peter Frisch
beschwört, daß Extremisten sich in den
Computernetzen tummeln, ihre
Propaganda verbreiten, sich auf diesem
Wege organisieren und zum Bombenbau
anleiten. Polizeifahnder erwarten, daß
Geldwäscher und Drogendealer ihre
Geschäfte künftig elektronisch abwickeln.
Was ziemlich schaurig klingt, ist bei
genauerem Hinsehen Argumentation für
naivere Gemüter. Wer ohnehin gegen
Gesetze verstößt, ist von Strafen wegen
verbotener Verschlüsselung kaum
einzuschüchtern. Organisierte Kriminelle
verfügen über viel Geld und würden
sicherlich nicht zögern, etwa geeignete
ISDN-Adapter zu nutzen, die in Echtzeit
Telefongespräche und Daten
verschlüsseln. Der Berliner
Datenschutzbeauftragte Hans-Jürgen
Garstka lehnt ein Kryptogesetz deswegen
ab: "Das Gesetz trifft nur die breite
Masse. Deren Bürgerrechte und die
Freiheit der Kommunikation
würden beeinträchtigt, ohne auf der
anderen Seite die entsprechenden
Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung
zu erzielen."
Und die politischen Extremisten? Wäre
es der Bundesregierung damit ernst, ein
Verbot faschistischer Organisationen und
ihrer Propaganda wäre sofort
durchzusetzen. Mit einem solchen Verbot
ließe sich die Verbreitung von
Völkerhetze, auch in digitaler Form,
erheblich erschweren. Doch zu gut
erinnert man sich an die Aushöhlung des
Asylrechts, in der Bundesregierung und
Brandstifter ihre gemeinsamen
Interessen entdeckten. Wer mit
Ausländerhetze die Bevölkerung spaltet,
ist offenbar vor einer konsequenten
Verfolgung durch die Obrigkeit sicher.
Zudem ist neofaschistische Propaganda
im World Wide Web nicht verschlüsselt -
schließlich soll sie gelesen werden.
Internet - ein Medium für den Widerstand
Bleiben also die linken
"Extremisten", die international
kommunizieren. Bedrohlich ist für
die Herrschenden, daß die
internationale Arbeiterbewegung,
Gewerkschaftler und viele
Basis-lnitiativen das Web und die
schnelle elektronische
Kommunikation für sich entdeckt
haben. Kaum eine Guerillabewegung
ist heute noch ohne Webpräsenz.
Zur Nachrichtenübermittlung ist
Verschlüsselung hier überlebenswichtig.
Unlängst sorgten südkoreanischen
Gewerkschaftler für Aufsehen, als sie
weltweite Solidarität über eine
Streik-Homepage organisierten.
Zehntausende lasen darauf Tag für
Tag unterdrückte Nachrichten. Der
Ansatz International organisierten
Konzernen ist auch nur über eine
international koordinierte Bewegung
beizukommen. Verschlüsselung ist dabei
unerläßlich.
Auch der moderne Journalist
kommt zum Schutz von Leib und Leben
seiner Informanten nicht ohne eine
starke Verschlüsselungssoftware aus,
wenn mit E-Mail kommuniziert wird.
Viele Berichte über Menschenrechtsverletzungen
wären ohne Verschlüsselung nicht an die
Öffentlichkeit gelangt. Phil
Zimmermann, der Schöpfer von
PGP, eines der derzeit sichersten
Krypto-Programme, hat jahrelang
der US-Administration die Stirn
geboten, die ihn für die Ausfuhr von
PGP verfolgte. "Ich unterstütze es,
wenn irgendwo die Notwendigkeit
besteht, zu versuchen die Balance
der Macht zugunsten der Machtlosen
zu ändern. Der Untergrund in Birma
verwendet PGP, sie arbeiten damit auf
tragbaren Computern in Trainingszentren
in ihren Lagern im Dschungel. Die
Exilregierung von Tibet verwendet PGP,
und die Zapatista- Guerilla in Mexiko
benutzt es Amnesty International
verwenden PGP, wenn sie im Einsatz
stehen. Arbeiter, die entsetzlichen
Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind,
fanden es wichtig Augenzeugenberichte
über Greueltaten mit PGP zu
schützen. Viele Menschenrechtler
überall auf der Welt, zum Beispiel
in Guatemala, verwenden PGP
PGP schützt so das Leben von
Menschen. "
Alle Bürger sind betroffen
In der "Hamburger Erklärung
für Verschlüsselungsfreiheit"
beziehen Netzsicherheitsexperten
klar Stellung: "Wir fordern den
Erhalt frei wählbarer und
einsetzbarer Verschlüsselungsverfahren
und die Geheimhaltung unserer frei
gewählten kryptographischen
Schlüssel. Wir benötigen starke
Verschlüsselung dringend, um
Rechner im Netz sicher betreiben zu
können. Leistungsfähige
Verschlüsselungsverfahren helfen
uns Angriffe von Hackern auf
vernetzte Rechner und deren Daten
abzuwehren sowie die übertragenen
Daten effektiv zu schützen. Die
Verschlüsselung ist die Grundlage für
die notwendige Vertraulichkeit, um
die Netze wirtschaftlich nutzen
(z.B. Bestellungen und
Homebanking) oder um sensitive
Daten übertragen zu können (z.B.
Gesundheits- oder Abrechnungsdaten).
Sie ist aber auch Arbeitsvoraussetzung
ganzer Berufsgruppen (z.B. Ärzte,
Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater,
Journalisten). Von einem Verschlüsselungsverbot
wären alle Bürger betroffen. Sollen z.B.
unsere Kontoauszüge oder Patientendaten
unverschlüsselt übertragen werden?
Mit PGP wird eine Nachricht so
umgewandelt, daß sie nur der
beabsichtigte Empfänger mit Hilfe
eines von ihm geheimgehaltenen
Schlüssels lesen kann Für jeden
anderen, der nicht im Besitz dieses
geheimen Schlüssels ist, besteht die
Nachricht nur aus einer sinnlosen
Folge von Zeichen. Eine Nachricht
ZU verschlüsseln heißt also, einen
Brief in einen Briefumschlag zu
stecken und so zu versiegeln, daß
ihn nur der beabsichtigte Empfänger
öffnen kann. Um mit PGP wirklich
sicher arbeiten zu können, ist Übung
nötig. Einige Volkshochschulen und
Unis bieten PGP-Kurse an. Die
neueste sehr bedienerfreundliche
PGP-Version, ist leider vom
US-Exportverbot belegt.
Ein hartes Verbot von
Kryptographie ist technisch nicht
mehr machbar, das wissen auch die
Herren in Bonn.
Steganographie-Software verhindert
dies, ein PGP-kodierter Text kann
in den Millionen Pixeln eines
Urlaubsfotos versteckt sein, was
von staatlichen Spitzeln nicht zu
orten ist. Aber PGP ist schon
komplizien genug, normale
Anwender hätten es durch ein
Kryptoverbot erheblich
schwerer, ihre Privatsphäre
zu schützen Eine solche
Verordnung muß verhindert
werden! Jeder, der seine
elektronischen Nachrichten
heute schon verschlüsselt
hilft mit, die staatliche
Überwachung zu erschweren.
Handelt man damit nicht künftig
illegal? Dazu Phil Zimmermann:
"Wenn die Privatsphäre illegalisiert
wird, werden nur noch Gesetzesbrecher
eine Prilvatsphäre haben."
Achim Sawall
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