Deutscher Bundestag Heft 9/21.05.97
Experten halten Auflagen bei Verschlüsselungstechnik für kontraproduktiv
für den Wirtschaftsstandort
Ein Verbot oder strenge Auflagen für Verschlüsselungstechniken im Bereich
Multimedia würden nach Auffassung von Fachleuten mehr Schaden als Nutzen
stiften. Das war der Tenor einer Anhörung zu Kryptographie und
Datensicherheit vor der Enquete-Kommission "Zukunft der Medien in Wirtschaft
und Gesellschaft". Damit wandten sich die Experten am 12. Mai gegen Pläne
von Bundesinnenminister Manfred Kanther, zur Verbrechensbekämpfung die
Datenverschlüsselung in Computernetzen zu begrenzen.
Der Minister hat sich dafür ausgesprochen, den Einsatz von
Verschlüsselungssystemen zu beschränken, um den Sicherheitsbehörden Zugriff
auf verschlüsselte Mitteilungen im Internet zu ermöglichen. Andernfalls
drohe ein rechtsfreier Raum im Netz. Die Kryptographie-Programme sollen
deshalb unter staatlichem Genehmigungsvorbehalt stehen und per Nachschlüssel
für den Staat zugänglich sein. Ohne Verschlüsselungsbeschränkung für
elektronische Post müsse der Staat hilflos zusehen, wenn Kriminelle das
Internet für ihre Zwecke nutzten.
Dagegen betonte Helmut Reimer von TeleTrust Erfurt, daß bei der Frage der
Verschlüsselungsmöglichkeit der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt
zur Debatte stehe. Der deutsche Wirtschaftsraum müsse für die Bürger und die
internationale Wirtschaft vertrauenswürdig sein. Deshalb brauchten
Unternehmnen die Chance, vertrauliche Daten codiert weiterzugeben. Gerade
durch die Anwendung von Kryptotechnologien könnten sich Firmen schützen und
so "die kriminelle Szene behindern". Schließlich sei die
Computerkriminalität "auf das Ausspähen, nicht auf das Verstecken von Daten
gerichtet".
Die Kryptographie wurde von den Sachverständigen als zentrale Voraussetzung
für das Funktionieren der Informationsgesellschaft eingestuft. Vertrauliche
Daten, die über das Internet verschickt werden sollen, bedürften des
Schutzes durch eine wirksame Codierung, damit sie nicht von Unbefugten
mitgelesen werden können.
Für Thomas Beth vom Europäischen Institut für Systemsicherheit steht fest,
daß eine Regulierung der Kryptographie von kriminellen Kreisen ohnehin
umgangen würde. Sie würde nur ehrliche Bürger und die deutsche Industrie
treffen. Zudem könnten globale Entwicklungsprozesse im Internet nicht durch
lokale Regelungen aufgehalten werden. Um mit dem kryptologischen Fachwissen
des organisierten Verbrechens Schritt zu halten, müsse Deutschland vielmehr
die Forschung verstärken. Als Kompromiß schlug Beth eine verteilte
Hinterlegung von Schlüsseln bei unabhängigen Stellen vor. Im Ermittlungsfall
müsse die Staatsanwaltschaft dann die Herausgabe der Schlüssel verlangen
können.
Die verteilte Schlüsselhinterlegung reduziere zwar das Risiko, im Vergleich
zur Hinterlegung bei einem einzigen Treuhänder. Aber auch hier gelte, wie
Alexander Roßnagel, Professor an der Universität Kassel, betonte: Wer etwas
zu verbergen hat, wird seine Codierung eben nicht hinterlegen. Fraglich sei
deshalb, ob eine gesetzliche Regelung der Kryptographie überhaupt wirksam
ist.
"Gehen sie nicht den Weg, ein Kryptogesetz zu erlassen", riet der
amerikanische Anwalt Christopher Kuner im Hinblick auf die Erfahrungen in
den USA: "Es bringt nichts, es schadet nur der deutschen Wirtschaft."
Deshalb verlangte Andreas Pfitzmann (Universität Dresden), wer die
Verschlüsselungsmöglichkeiten beschränken wolle, "muß sich rechtfertigen,
was er denn davon erwartet".
Viel wichtiger könnten in Zukunft die sicherheitspolitischen Gefährdungen
durch "Cyberwar"-Attacken, also die Zerstörung der Funktionsfähigkeit
ziviler und militärischer Informationssysteme, werden, sagte Gebhard Geiger
von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen voraus. Bei der
Abwehr derartiger Gefahren habe Deutschland "noch einen gewaltigen
Aufholbedarf".
Herausgegeben vom Pressezentrum des Deutschen Bundestages.
Nachdruck mit Quellenangabe kostenlos. Belegexemplar an:
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