CHIP 7/97 S.7
Nach monatelangem Streit lenkt das Innenministerium ein: Zwar kann
Manfred Kanther als oberster Dienstherr der staatlichen Ermittlungsbehörden
nicht darauf verzichten, daß die Kommunikation zwischen Kriminellen
überwacht und wenn nötig auch entschlüsselt wird, doch will er niemand dazu
zwingen, Nachschlüssel preizugeben. Auf diese Kompromißformel läuft der
derzeitige Stand der Beratungen in den Bonner Ressorts hinaus.
Zuckerbrot und Peitsche
Den scheinbaren Widerspruch löst ein Modell a la Pkw-Wegfahrsperre:
Nach Androhung einer gesetzlichen Regelung von der Industrie
"freiwillig" eingeführt, ist sie mittlerweile De-facto-Standard
wenigstens in teuren Karossen. Ähnlich soll die Kryptoindustrie nun
zwei Jahre Zeit bekommen, ihre Verfahren freiwillig begutachten zu
lassen. Vom BSI erhalten geprüfte Systeme ein werbeträchtiges weil
vertrauensbildendes Zertifikat, das die kryptographische Stärke
bescheinigt. Dies jedoch nur - und das empfinden Kritiker als
Etikettenschwindel - wenn die Schlüssel oder der Mechanismus zu ihrer
Erzeugung bei einer "vertrauenswürdigen dritten Instanz" hinterlegt
werden.
Ob er zertifizierte oder andere Systeme nutzen will, kann jeder Anwender
jedoch selber entscheiden. Diese privatwirtschaftlich organisierten
Dienstleister müssen auf richterliche Anordnung die Nachschlüssel an in- und
ausländische Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden herausgeben. Was aus
einem CHIP vorliegenden internen Entwurf zum "Konzept zum kurzfristigen
Aufbau einer Sicherheitsinfrastruktur" des Innenministeriums hervorgeht, ist
sogar an eine "automatisierte" Schnittstelle für die
Strafverfolgungsbehörden mit "menschlichen Kontrollmechanismen" gedacht.
Obwohl der Innenminister mit dieser Lösung unzufrieden sein muß, weil er
nicht garantieren kann, daß jede abgefangene Nachricht per hinterlegtem
Schlüssel zu decheffrieren ist, hofft er auf die Verbreitung der Systeme mit
BSI-Segen und die Bequemlichkeit der Kriminellen, die auch heute oft genug
ins Netz gehen, weil sie vom überwachten Telefonanschluß statt von der
Telefonzelle um die Ecke telefonieren.
USA rücken vom Hinterlegungszwang ab
Die in Deutschland anvisierte versuchsweise Einführung der
freiwilligen Regelung steht in Kontrast zu einer deutlichen Kehrtwende
der US-Regierung in Sachen Kryptographie. Auf Druck der Wirtschaft hat
die US-Regierung jetzt ihre Bestrebungen aufgegeben,
Verschlüsselungsstandards festzulegen und Unternehmen zu verpflichten,
Nachschlüssel zu hinterlegen.
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