Die Rede von Bundesinnenminister Kanther macht deutlich, wie fruchtlos
bisher in weiten Kreisen die Debatte um die Sinnhaftigkeit einer staatlichen
Kryptoregulierung geblieben ist. In weiten Teilen haben wir uns diesen
Mißstand allerdings selbst zuzuschreiben.
Methoden und Wirkungsweise der Steganographie sind in einigem Umfang
diskutiert und den an einem Kryptogesetz Interessierten durchaus vermittelt
worden, wie diesbezügliche Bemerkungen in der Rede andeuten. Diese
Diskussion hat jedoch nicht zu einer Aufgabe der Regulierungsabsicht geführt
- und das aus gutem Grund.
-
Der vermutlich wesentliche Grund ist, daß dem "durchschnittlichen
Verbrecher" von Seiten der Sicherheitsbehörden die Benutzung einer immerhin
dem Laien nicht leicht verständlichen Technologie nicht zugetraut wird.
Insofern rechnet man sich vielleicht für das Verhältnis
Nachrichtenverschlüsselung:Steganographie einen ähnlichen Zustand aus, wie
er in der Vergangenheit bezüglich Telefonie:Verschlüsselung herrschte - in
wenigen Fällen ist aufgrund der technischen Kompetenz der Beteiligten die
Überwachung sinnlos, aber im allgemeinen erfolgreich. Das Argument, man
könne mittels Steganographie ein Verschlüsselungsverbot unterlaufen,
tangiert die Befürworter also nur am Rande. (Zitat: "... werden diese
Techniken auf absehbare Zeit nicht bei dem für die Strafverfolgungs- und
Sicherheitsbehörden relevanten alltäglichen Telefonverkehr greifen ..." und
weiteres)
-
Zudem dürften gewisse Kreise von der Fähigkeit der Sicherheitsbehörden
überzeugt sein, durch Steganographie getarnte Nachrichten zu entdecken. Es
ist dabei egal, ob diese Überzeugung auf einem sauberen theoretischen
Fundament basiert oder nicht. (Zitat: "... abgesehen vom sicherlich
überschätzten Sicherheitswert steganographischer Verfahren ...")
Ich schlage vor, aus diesen Gründen den Fokus der politischen Debatte vom
Thema Steganographie zum eigentlichen Thema, der Kryptographie, zu
verlagern. Dabei sind (vor allen Dingen dem Laien) einige Punkte zu
verdeutlichen:
- Ein totales Kryptoverbot ist politisch und wirtschaftlich
indiskutabel.
Selbst von Bundesinnenminister Kanther wird die Bedeutung der
Verschlüsselung im allgemeinen und für den Wirtschaftsstandort Deutschland
im besonderen anerkannt. Ein Totalverbot scheint daher auch in vorrangig
auf Fragen der öffentlichen Sicherheit bedachten Kreisen nicht mehr
ernsthaft diskutiert zu werden, eine politische Chance räume ich einer
solchen Regelung nicht ein.
Andererseits könnte ein solcher Vorschlag benutzt werden, um auf das
eigentliche Ziel hinzuwirken. (Ihr wollt keine Regulierung, wir wollen
Totalverbot - einigen wir uns doch auf Key Escrow. ...) Daher sollten die
guten politischen und wirtschaftlichen Argumente für Verschlüsselung im
öffentlichen Gedächtnis gehalten bzw. weiter verankert werden.
- Ein beschränktes Verschlüsselungsverbot ist
wirkungslos.
Verschiedene Szenarien für ein beschränktes Verschlüsselungsverbot
sind denkbar und diskutiert worden.
- Starke Verschlüsselung, Hinterlegung des Schlüssels bei einer
staatlichen Behörde und Breitbandüberwachung (einschließlich
Entschlüsselung) beliebiger Kommunikation. Man kann - auch ohne Jurist zu
sein - erkennen: eine solche Lösung würde mit Sicherheit wesentliche
Verfassungsrechte außer Kraft setzen. Es sollte festgehalten werden, daß
die Überwachung des verschlüsselten Fernmeldeverkehrs einer gesetzlichen
Vorschrift und der Begründung im Einzelfall bedarf, oder wesentliche Teile
unserer verfassungsmäßigen Ordnung wären außer Kraft gesetzt. (Bitte an
dieser Stelle keine Diskussion über die vermeintliche oder reale Abhörpraxis
der Geheimdienste; auch für diesen Bereich gilt die Verfassung und bestimmte
Regeln müssen eingehalten werden.)
- Starke Verschlüsselung, Hinterlegung des Schlüssels und
Entschlüsselung bei Vorliegen bestimmter Bedingungen (etwa einer
richterlichen Anordnung). Im Gegensatz zu Herrn Kanthers möglicherweise
zutreffenden Bemerkungen bezüglich Steganographie kann jedem zu
Überwachenden zugetraut werden, kryptographische Verfahren einzusetzen
(zumindest das Verfahren, zu welchem ein Schlüssel hinterlegt wurde).
Relevante Übermittlungen können also ohne weiteres vor ihrer Verschlüsselung
mit dem genehmigten Schlüssel mit einem weiteren, diesmal geheimen Schlüssel
kodiert werden.
- Die Möglichkeit, diese Doppelverschlüsselung von außen zu erkennen,
besteht unter Umständen, ist aber für gute kryptographische Verfahren gering
und rechtlich irrelevant: Falls die Kommunikation überwacht werden darf,
dann darf auch die äußere Verschlüsselung entfernt werden und die nicht
genehmigt Verschlüsselung wird offensichtlich.
Die (illegale) Doppelverschlüsselung wäre also so lange juristisch
und vermutlich auch praktisch unentdeckt, bis ein Überwachungsgrund
vorliegt. Dann würde die Überwachung ausschließlich zur Feststellung der
illegalen Verschlüsselung führen, niemals jedoch den Inhalt der Nachricht
preisgeben.
Unter diesen rechtlichen Bedingungen ist die Überwachung beinahe so sinnlos
wie ohne Kryptoregulierung (nur daß unter Umständen Urteile wegen illegaler
Verschlüsselung ergehen könnten).
Die verfassungsrechtliche Implikation ist mir nicht völlig klar. Vermutlich
würde die Einschränkung bedeutender Grundrechte (u.a. Form und Inhalt
persönlicher Kommunikation frei zu wählen) mit keiner anderen Wirkung als
gerade den Verstoß gegen diese Einschränkung strafrechtlich zu
sanktionieren, als unverhältnismäßig abgelehnt.
- Verbot starker Verschlüsselung. Dieses Vorgehen entspricht in
seiner Wirkung (für den Fachmann) offensichtlich einem Totalverbot, könnte
aber in der öffentlichen Debatte als "Kompromiß" verkauft werden. (Es ist
beachtlich, wie es amerikanischen Herstellern von Kommunikationssoftware
gelingt, weiten Nutzerkreisen mit 40 Bit ein Gefühl von Sicherheit zu
suggerieren.) "Schwache Verschlüsselung ist keine Verschlüsselung" sollte
Allgemeingut werden.
Fazit
Letztlich kommt es darauf an zu verdeutlichen, daß nur die Nutzung starker
kryptographischer Verfahren ohne Hinterlegung von Schlüsseln Bürgern und
Wirtschaft die erforderliche Sicherheit in ihrer Kommunikation geben. Wer
der Kryptographie als Notwendigkeit zustimmt, muß auch ihrer unbeschränkten
Verwendung zustimmen.
Das Anliegen der Kryptographie, sichere (d.h. unabhörbare) Kommunikation zu
gewährleisten, steht in unmittelbarem und unauflösbarem Widerspruch zu dem
Wunsch, Kommunikation bei Bedarf zu überwachen. Dieser Widerspruch ist
logisch zu begründen und nicht durch einen wie auch immer gearteten
Kompromiß aufzulösen.
Es muß öffentlich klargestellt werden: Wer Kryptographie befürwortet, sie
aber durch eine der oben genannten Massnahmen beschränken will, ohne
grundsätzliche Verfassungsrechte außer Kraft zu setzen, denkt möglicherweise
gutwillig, jedoch unlogisch.
Die Implikation, zukünftig den Fernmeldeverkehr verdächtiger Personen nicht
zur Strafverfolgung nutzen zu können, ist bedauerlich. Andere Methoden
stehen allerdings bereits heute zur Verfügung, etwa die akustische
Überwachung von Wohn- und Geschäftsräumen, das Anzapfen der beteiligten
Kommunikationsgeräte an der Quelle (d.h. vor Verschlüsselung) usw.
Aus diesen Gründen wäre jede staatliche Kryptoregulierung ein schlechter
Kompromiß, da erhebliche Verfassungsgüter gegen geringsfügige
Vereinfachungen der Strafverfolgung und anderer staatlicher Aufgaben
eingetauscht würden.
Wolfram Clauss
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