Anläßlich der Kontroverse um Kryptographie im Internet und des weiterhin
als Verschlußsache gehüteten Berichts zur Kryptopolitik der
Bundesregierung erklärt der forschungs- und postpolitische Sprecher der
Fraktion Bündnis 90/Grüne im Bundestag, Dr. Manuel Kiper:
Schmutz und Schund, Verbrechen und Anarchie haben einen neuen Namen: Das
Internet. Konservative Politiker sind in ihrer Angst vor der ihnen fremden
Meinungsvielfalt, leichtem Informationszugang und der Verschlüsselung für
vertrauliche Kommunikation dabei, das Internet in einen Hort des Bösen
umzudefinieren. Ihre Fremdheit dem Internet gegenüber mutiert zu einer
Schärfung ihres Recht-und-Ordnungs-Profils. Für solche politischen
Ränkespiele im Vorwahlkampf bluten müssen die Nutzer, aber auch jener
innovative Teil der Wirtschaft, der das Internet als neues Tätigkeitsfeld
erschließt.
Statt Rechtsklarheit für das Internet zu schaffen, spielen Bund und Länder
einen Machtpoker um das Informations- und Kommunikationstechnk-Dienstegesetz
(IuKDG). Staatsanwälte sind ihre Mitspieler. Ohne konkreten
ermittlungstechnischen Grund liegt der Verdacht nahe, daß es bei der
Eröffnung des Verfahrens wegen Verbreitung von Pornographie gegen
CompuServe durch die Staatsanwaltschaft München und - nach Aufforderung der
Bundesanwaltschaft - die erneute Sperrung des niederländischen Anbieter
XS4ALL durch das Deutsche Forschungsnetz um Druck auf die Beratung des IuKDG
in Bonn geht. Selbst im Ausland verfolgt man konsterniert, wie das Internet
vom Zukunftsmotor zum Spielball für Strafverfolger und Politiker wird.
Die nächste Eskalationsstufe zündete nun Innenminister Kanther mit der
öffentlichen Forderung, die Verschlüsselung im Internet zu regeln. Der von
der FDP schon angekündigte Widerstand bis zum Umfallen zeigt, daß es
erneut um eine publicityträchtige Politfarce geht. Denn eigentlich sind
sich Kanther und seine Kollegen von der FDP über die Richtung durchaus
einig, die Differenzen gehen ums Detail.
Schluß mit dem Theater, zitieren wir doch den "Bericht zur Gefährdung des
Informationsaufkommens der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden durch
den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren in Telekommunikation und
Datenverarbeitung" der Task Force Kryptopolitik der Bundesregierung, den
sie bislang unter Verschluß hält. Dem Innenministerium nicht weit genug
geht der erste Vorschlag, der
- "Diensteanbieter bzw. Netzbetreiber, die Verschlüsselung als Dienst
anbieten bzw. eigenständig vornehmen, zur Bereitstellung der in Frage
kommenden Daten in unverschlüsselter Form verpflichtet (...).
- Soweit sich die Dienstleistung auf die Verteilung und Verwaltung von
Schlüsselmitteln erstreckt (wie bei sog. 'Trust-Centem"), werden die
Anbieter generell zur Aufbewahrung der Schlüsselmittel sowie ggfs. zur
Herausgabe dieser sowie anderer, in ihrem Besitz befindlicher zur
Entschlüsselung notwendiger Informationen verpflichtet."
Sofern ähnliches auch in Europa umgesetzt wird, unterstützt Rexrodt selbst
den zweiten Vorschlag:
"Regelung nach 1. und zusätzlich:
- Hersteller und Betreiber bedürfen für das Inverkehrbringen von
Verschlüsselungssystemen einer Genehmigung."
Rexrodt hätte also keine Probleme damit, "zusätzlich zu den Anbietern von
Verschlüsselungsdienstleistungen auch die Hersteller und Vertreiber von
Verschlüsselungssystemen" zu treffen. Damit ließe sich in Deutschland kein
WWW-Browser mehr legal per Internet vertreiben, da er üblicherweise
Verschlüsselungssoftware beinhaltet. Zu weit ginge Rexrodt nur:
"Regelung nach 2 und zusätzlich:
- Die Nutzung nicht genehmigter Verfahren wird grundsätzlich untersagt."
Daß jegliche dieser Regelungen blanker Unsinn wäre, wissen alle
Beteiligten, denn die Gegenargumente liefert das Papier gleich mit:
- "auch ein Nutzungsverbot kann die faktische Verfügbarkeit und Weitergabe
(insbesondere softwaregetragener) nichtgenehmigter Verschlüsselungssysteme
nicht verhindern,
- daß Umgehungsmöglichkeiten auch darin bestehen, daß durch
steganographische Verfahren, Mehrfachverschlüsselungen und Datenkompression
selbst die Tatsache "illegaler" Verschlüsselung verschleiert werden kann,
- angesichts der nur möglichen geringen Strafbewehrung für die Nutzung
ungenehmigter Verschlüsselungssysteme werden sich insbesondere Personen,
die der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind, nicht von der
möglichen Nutzung dieser Systeme abhalten lassen,
- um einen speziellen, eher kleinen Täterkreis zu treffen, werden weite
Teile der Bevölkerung in ihrem Umgang mit persönlichen elektronischen
Daten berührt".
Eine Kryptoregelung wäre nicht nur nahezu straffrei zu umgehen, sie würde
erstmals die Mitwirkung der Überwachten an ihrer Überwachung vorschreiben,
sie behinderte die vertrauliche Nutzung elektronischer Netze und stünde im
Widerspruch zu Grundrechten, sie würde überdies viele Formen des
Electronic Commerce verhindern. Die überwiegende Mehrzahl namhafter
Experten und Informatik-Verbände haben sich bereits gegen ein Kryptogesetz
ausgesprochen, unsere Fraktion hat schon 1995 jede derartige Regelung
abgelehnt. Doch "BK, BMI, BMVg, BMPT, BMF und Bedarfsträger" befürworten
dennoch laut des vertraulichen Berichts diese Lösung.
Wozu also die Forderung nach einem Gesetz, dessen Unsinn allen bekannt ist?
Wozu der Wille Kanthers, dem Sachverstand der Experten zu trotzen? Bislang
hat die Bundesregierung für sich in Anspruch genommen, bei den
vielfältigen Problemen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
fachlichen Nachholbedarf zu haben. Hier wird nun deutlich, daß sie gewillt
ist, zur Mobilisierung ihrer konservativen Klientel zur Wahl 98 jeglichen
gutmeinenden fachlichen Rat in den Wind zu schlagen. Die Bundesregierung
sollte endlich ihre Karten auf den Tisch legen, daß sie gewillt ist,
Bürgern und Wirtschaft gleichermaßen durch Gesetze zu schaden, deren
mangelnder Sinn ihr bekannt ist.
Wir Grünen halten daran fest: Ein Kryptogesetz ist überflüssig und
schädlich, die konservative Mobilmachung für eine staatliche Kontrolle des
Internets belastet dessen wirtschaftliche, vor allem aber kommunikative
Nutzung.
|