Kristian Köhntopp über die Kantherrede

Kristian Köhntopp über die Kantherrede

[Generation @] Das Recht auf Kryptographie ist ein Menschenrecht.

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	-- KK, 29-Apr-1997
]

Das Recht auf Kryptographie ist ein Menschenrecht.
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Ein leidenschaftliches Plädoyer und eine Mahnung
von Kristian Köhntopp 

Bundesinnenminister Kanther eröffnete am 28 April 1997 den 5.
IT-Sicherheitskongress in Bonn. Auf seiner Eröffnungsrede
forderte der Minister, den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren
in der Bundesrepublik Deutschland zu reglementieren. Nach
Kanthers Vorstellungen dürfen in Deutschland nur noch
Verschlüsselungsverfahren zum Einsatz kommen, die es den
Bundesbehörden erlauben, verschlüsselte Informationen nach
Belieben zu decodieren. 

Derzeit ist der Einsatz und der Export von
Verschlüsselungsverfahren in Deutschland nicht eingeschränkt,
was der deutschen Industrie einen entscheidenden
Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA, Frankreich und anderen
Ländern mit Kryptobeschränkungen gibt. Verfahren zur
Verschlüsselung von Daten und zur digitalen Unterschrift machen
von sogenannter "starker Kryptographie" gebrauch. Sie gelten als
der Schlüssel zum digitalen Handeln, da nur durch solche
Verfahren Geld und Geschäftsgeheimnisse sicher und unverfälscht
über das Rechnernetze transportiert werden können.


Kanther selbst sagt in seiner Rede: 
>"Mehr und mehr werden persönliche Daten, wichtige
> Geschäftskommunikation, Geschäftsabschlüsse und
> Geldtransaktionen mit Computern verarbeitet und über die
> modernenKommunikationsnetze geleitet. Wo das ohne hinreichenden
> Schutz geschieht, ist das oftmals geradezu eine Einladung an
> Kriminelle. Das Erschleichen einer Kreditkartennummer durch
> Hacking und der anschließende Mißbrauch, der Scheckkartenbetrug
> oder das Abzweigen von Geldbeträgen von einem Konto zum anderen
> lassen sich anonym unter Ausnutzung der elektronischen
> Kommunikationsmittel vollziehen. Die Täter verstecken sich in
> der Anonymität der Netze, verwischen ihre elektronische Spur,
> einen Tator gibt es nicht mehr. Strafverfolgungsbehörden und
> Polizei sind vor völlig neue Herausforderungen gestellt."

Kanther erwähnt dabei nicht, daß gerade kryptographisch starke
Verfahren zur Signatur und zur Verschlüsselung von Informationen
derartige Verbrechen schon im Ansatz verhindern können. Digital
signierte Dokumente können nicht gefälscht werden und sicher
verschlüsselte Texte können nicht abgehört werden. Der Einsatz
von Kryptographie in Datennetzen erschwert also nicht die
Verfolgung von Verbrechern, sondern er macht das Verbrechen
selbst unmöglich. Der schleswig-holsteinische
Datenschutzbeauftragte, Dr. Bäumler, formuliert dies in seinen
Thesen zur Kryptographie unter anderem so:

>"[ Es ist ] geradezu ein Gebot, die Bürger vor organisierten
 >Verbrechern zu schützen bzw. genauer: ihnen zu erlauben, sich
> selbst wirksam zu schützen. Denn nur so können sie finanzielle
> Transaktionen über Netze abwickeln, ohne Opfer von
> Computerkriminalität zu werden."

Kanther fordert in seiner Rede, den Risiken, die sich aus der
Technik ergeben auch mit den Mitteln der Technik zu begegnen und
führt dabei unter anderem auch elektronische Wegfahrsperren als
Mittel zur Verhinderung von Kraftfahrzeugdiebstählen an. Dieser
Vergleich mutet seltsam unpassend an, handelt es sich dabei doch
genau wie der Einsatz von kryptographischen Mitteln um ein
klassisches Mittel zu Verbrechensprävention, nicht um ein
staatliches Instrument zur Strafverfolgung. Eine Umsetzung von
Kanthers Vorschlägen würde den Anwender von Datennetzen seiner
legitimen Verteidigungsmöglichkeiten gegen Computerkriminelle
berauben.

Kanther führt weiter aus, wie er sich die Kontrolle des Staates
vorstellt:
>"Dies kann dadurch geschehen, daß die verwendeten Schlüssel
> sicher hinterlegt werden. Durch eine Kombination von
> organisatorischen, personellen, technischen und juristischen
> Maßnahmen kann jedem Verdacht einer Mißbrauchsmöglichkeit
> begegnet werden."

Kanther sagt dies eine Woche, nachdem der Spiegel berichtet, daß
auch eine Kombination von organisatorischen, personellen,
technischen und juristischen Maßnahmen nicht ausgereicht hat,
illegale Datenströme zwischen dem Pullacher Verfassungsschutz
und Angehörigen der CSU zu verhindern.

Eine Hinterlegung von privaten Schlüsseln erlaubt es jedem der
diese Schlüssel kennt, die Persona des Schlüsselinhabers im Netz
zu übernehmen, seine Kommunikation mitzulesen, in seinem Namen
Nachrichten zu versenden, Verträge abzuschließen oder Verbrechen
zu begehen. Jemandem seine digitalen privaten Schlüssel zu
übergeben bedeutet, sich dieser Person oder Institution
persönlich und wirtschaftlich vollkommen auszuliefern. Die
Hinterlegung der privaten Schlüssel bei einer Schlüsselzentrale
entspricht der Erteilung einer unumschränkten Unterschriften-
und Kontovollmacht auf das bloße Versprechen hin, daß die
Schlüsselzentrale von dieser Vollmacht nur zum größeren Nutzen
der Allgemeinheit Gebrauch machen wird.

Niemand, der klar bei Verstand ist, kann einer solchen
Verpflichtung nachkommen. Die von Kanther geforderte
Schlüsselhinterlegung würde jede Form von digitalem Kommerz in
Deutschland schon im Ansatz abwürgen und den ohnehin schon
gefährdeten Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb
noch weiter zurückwerfen.

Kanther fordert dies auch, obwohl die Möglichkeiten der
Strafverfolger durch die Reform der Telekommunikationsgesetze
und den großen Lauschangriff schon stark ausgeweitet worden
sind. Nicht nur daß: Kanthers Ministerium bleibt konsequent den
Beweis nach Wirksamkeit dieser Maßnahmen schuldig. Obwohl diese
Gesetze eine Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses und des
Rechtes auf Unverletzlichekeit der Wohnung darstellen,
existieren noch immer keine veröffentlichten Daten darüber, ob
der Erfolg dieser Maßnahmen diese Einschnitte in wesentliche
Grundrechte rechtfertigt.

Auch in einem unbefangenen Beobachter muß dabei doch der
Verdacht aufkommen, daß es mit der Wirksamkeit dieser Maßnahmen
nicht so weit her sein kann. Wieviel wirkungsloser wird dann ein
Verbot nicht genehmigter Kryptographie sein, wenn die
Sachverständigen schon im Vorfeld bescheinigen, daß ein solches
Verbot für die Strafverfolgung praktisch wirkungs- und wertlos
sein wird?

Und Stimmen, die ein solches Verbot nicht genehmigter, harter
Kryptographie ablehnen, gibt es zuhauf: Datenschützer,
Verfassungsrechtler, Wissenschaft und Industrie lehnen eine
solche Regelung geschlossen ab. "Wohlwollende" Unterstützung für
seinen Vorschlag findet Kanther vorwiegend im Ausland, etwa bei
unseren amerikanischen "Freunden", für die eine nicht mehr
abhörbare Kommunikation deutscher Wirtschaftsunternehmen ein
schwerer Rückschlag auf dem Gebiet der Industriespionage wäre.

Wie praktisch wäre es dagegen, müßte man sich die Schlüssel
deutscher Firmen nicht mehr einzeln in jedem Werk besorgen,
sondern könnte gezielt das System der zentralen deutschen
Schlüsselverwaltung anzapfen - die womöglich sogar mit von
amerikanischen Firmen gelieferter Hardware und Systemsoftware
betrieben würde. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft ist es essentiell, sich selbst vor
Wirtschaftsspionage und vor der Verfälschung der eigenen
Kommunikation schützen zu können. Funktionieren kann dies nur,
wenn es der Industrie möglich ist, Verfahren ohne
Sollbruchstelle und Hintertüren einzusetzen.


In den letzten Jahren ist es im Innenministerium Mode geworden,
unter dem Verweis auf die sogenannte organisierte Kriminalität
ein Grundrecht nach dem anderen schrittweise durch den
Gesetzgeber einschränken zu lassen. Vielleicht sollte jetzt erst
einmal der Beweis angetreten werden, daß die bisher gemachten
Zugeständnisse der Bürger an ihren Staat Früchte tragen und die
von uns allen ermöglichten Maßnahmen auch tatsächlich wirksam
sind. Vielleicht sollten wir alle uns auch einmal fragen, ob wir
uns nicht selbst auf eigene Verantwortung vor den schwarzen
Schafen in unserer Gemeinschaft schützen können.

Ganz sicher sollten wir uns jedoch klarmachen, daß eine
Reglementierung kryptographischer Verfahren ein Irrweg ist. Ein
Irrweg, der fordert, daß Bürger und Firmen ihre digitale Seele
bei einem Staat hinterlegen, der für ihre Sicherheit nicht
garantieren kann.

Und ganz dringend sollten wir alle uns klarmachen, daß dieses
Thema uns alle und ohne Ausnahme angeht: Eine Renterin trägt ihr
Geld zu Fuß zu einer Sparkasse tragen - die Sparkasse wird
dieses Geld digital transferieren. Ein Arbeiter mag mit
handfesten Gerätschaften an einem Fließband schaffen - das
Nervensystem seiner Firma und die Kronjuwelen der Entwicklung
werden jedoch mit Sicherheit in einem Rechnersystem vorliegen.
Die Beamtin im Einwohnermeldeamt oder im Finanzamt mag noch
immer mit Schreibmaschine und Stempel arbeiten - aber die
Melderegister und Steuerbescheide liegen in Rechnern vor. Der
Hausarzt mag mit dem Fahrrad in die Praxis kommen und seine
Patienten alle mit dem Vornamen kennen - für die Kassenrechnung
muß er Krankengeschichten und Leistungen in Computersystemen
vorhalten. Und man mag mit seiner Bäckerin am Samstagmorgen über
dem Brötchenkauf gerne ein nettes Schwätzchen halten - aber die
Umsatzdaten des Supermarktes laufen über ein digitales
Kassensystem bis in die Konzernzentrale. 

Wir alle sind, ob wir es wollen oder nicht und ob wir es wissen
oder nicht, Anwender von Informationstechnologie und
Datennetzen. Netze und Informationen, die nur dann sicher sein
können, wenn ihre Betreiber nicht durch einen übereifrigen Staat
daran gehindert werden. Es muß unser aller Interesse sein, dies
unserem Staat klar zu machen.

DENN:

Das Recht auf Kryptographie ist das Recht auf Privatsphäre.
Das Recht auf Kryptographie ist das Recht auf wirtschaftliches Überleben.
Das Recht auf Kryptographie ist das Recht auf digitale Selbstverteidigung.

Das Recht auf Kryptographie ist ein Menschenrecht.

-- 
Kristian Köhntopp, Wassilystraße 30, 24113 Kiel, +49 431 688897
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