10. April 1997
Verschlüsselungsgesetze stellen Grundrechte auf den Kopf
Zu den in den letzten Tagen bekannt gewordenen Planungen und Vorhaben zur
gesetzlichen Regelung von Verschlüsselungsverfahren auf internationaler und
nationaler Ebene erklärt der Vorstand des Forum InformatikerInnen für
Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF):
Unübersehbar verdichten sich die Anstrengungen zur Regulierung der
Kryptographie. Nach verschiedenen Anläufen wurde von der OECD Ende März eine
Richtlinie zur Kryptierpolitik verabschiedet. Fast gleichzeitig sind aus den
USA und Großbritannien Planungen zu neuen nationalen Kryptoregelungen
bekannt geworden. Auch haben sich die Hinweise verdichtet, daß die
Bundesregierung konkrete Vorschläge erarbeitet hat, um Kryptierverfahren in
der Bundesrepublik zu reglementieren.
Dem derzeitigen Planungsstand zufolge erwägt die Bundesregierung drei
Varianten einer Verschlüsselungsregulierung:
- Eine Key-Escrow-Lösung, bei der Anbieter von
Verschlüsselungsdienstleistungen bei Bedarf den Sicherheitsbehörden die
Schlüssel von Kunden zur Verfügung stellen müssen.
- Eine Key-Escrow-Lösung, bei der jedoch ausschließlich staatlich
lizensierte Anbieter von Verschlüsselungsdienstleistungen operieren
dürfen.
- Eine Key-Escrow-Lösung mit gleichzeitigem Verbot aller nicht amtlich
zugelassenen Verfahren.
Das FIfF sieht darin eine ernsthafte Gefahr für die Weiterentwicklung einer
immer stärker auf elektronischen Datenaustausch angewiesenen Gesellschaft.
Staatlichen Überwachungswünschen wird damit nicht nur der Schutz der
Privatsphäre untergeordnet, sondern zugleich der Schutz all jener
Interaktions- und Transaktionsformen, die auf elektronischen Netzen
abgewickelt werden. Diesen nicht hinnehmbaren Einschränkungen stehen aus
technischen Gründen nicht einmal Gewinne für die Ermittler gegenüber.
Die Planungen einer Kryptoregelung verdeutlichen nicht nur die völlige
Mißachtung von Bürgerrechten unserer Verfassung. Sie werden zu einem Symbol
für die gravierenden Defizite bei dem Verständnis von Problemen,
Möglichkeiten und den Herausforderungen an neue Denkansätze der politischen
Entscheidungsträger, die bei der Umsetzung ihrer Pläne einer
Informationsgesellschaft zutage treten.
Für das FIfF lassen sich in fünf Bereichen Argumente für die Schädlichkeit
einer Kryptoregelung anführen.
- Kryptoregelung als letzter Baustein der Überwachung
Weshalb muß die Kryptierung gesetzlich geregelt werden? Von offizieller
Seite wird eine Kryptoregelung in der Bundesrepublik damit begründet, sie
sei das letzte noch fehlende Element zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs.
Durch die Fernmeldeverkehrs- Überwachungsverordnung (FÜV) sind die Betreiber
von Fernmeldeanlagen dazu verpflichtet, Sicherheitsbehörden den überwachten
Fernmeldeverkehr im Klartext zu übermitteln. Dies kann durch die
End-zu-End-Verschlüsselung einzelner Nutzer unterlaufen werden. Da bei
Telefon und Fax kaum verschlüsselt wird, träfe eine Kryptoregelung vor allem
die Nutzer elektronischer Netze, die darin das Briefgeheimnis nur durch
Verschlüsselungsverfahren herstellen können.
Damit wird so getan, als sei verschlüsselter Datenverkehr von Verdächtigen
in elektronischen Netze an der Tagesordnung und diese somit nicht zu
überwachen. Dies ist unzutreffend.
Die geltenden Gesetze und Verordnungen verpflichten auch Anbieter
elektronischer Netze, eine Überwachung durch Strafverfolgungsbehörden und
Nachrichtendienste zu gewährleisten; derartiges findet bereits statt[1].
Bisher wurde kein Fall bekannt, bei dem die Aufklärung einer Straftat durch
Kryptierverfahren verhindert wurde. Dennoch werden vage Bedrohungsszenarien
bemüht, um eine Ausweitung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu
begründen.
In der Bundesrepublik läßt sich jedoch ernsthaft kein Rückstand in der
Fernmeldeüberwachung ausmachen. Während 1995 in den USA bei 240 Millionen
Bürgerinnen und Bürger 1229 Telefonüberwachungen angeordnet wurden,
entfielen auf die 80 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger im selben
Zeitraum 3667 Anordnungen[2] - pro Kopf also sechsmal soviel
Überwachungsmaßnahmen hier wie in den USA. 1996 stieg die Zahl der
Anordnungen in der Bundesrepublik nochmals um 175% auf 6428
an[3]. Kein
Vergleich der Verbrechenshäufigkeit zwischen der Bundesrepublik und den USA
kann diese Unterschiede in der Überwachungshäufigkeit erklären. In welcher
Weise diese Mittel zur Verbrechensaufklärung beigetragen haben, läßt sich
nicht ermitteln, weil hier eine Kontrolle der durchgeführten Maßnahmen - im
Gegensatz zu den USA - nicht stattfindet.
Obwohl Defizite nicht erkennbar sind, sollen mit Großem Lauschangriff und
Kryptogesetz weitere Anwendungsfelder der Überwachung erschlossen werden.
Dabei werden immer mehr Grundrechte eingeschränkt.
- Grundrechte stehen Kopf
Die Protagonisten eines Kryptogesetzes behaupten, eine solche Regelung sei
nichts neues, sondern lediglich eine Anpassung der Fernmeldeüberwachung an
die technische Entwicklung. Diese Aussage ist falsch.
Ein Verbot nicht zugelassener Kryptoverfahren stellt bisherige
Grundrechtsprinzipien auf den Kopf. Die Einschränkung des Briefgeheimnisses
erlaubt allein die Kontrolle von Sendungen. Weder sind dadurch bestimmte
Schreibformen vorgeschrieben, noch bestimmte Sprachen oder Ausdrucksformen
verboten. Keine Strafnorm verbietet es, mit Geheimtinte zu schreiben oder
andere Verfahren zu nutzen, um Nachrichten zu verheimlichen. Wer Briefe
öffnet, hat alle nötigen Entschlüsselungsarbeiten selbst zu leisten - kein
Absender muß ihm dabei auch noch durch einen Brief nach Vorschrift helfen.
Ein Kryptoverbot würde entgegen aller bisheriger Rechtssystematik die
gesetzeskonforme elektronische Kommunikation dem Diktat staatlich
sanktionierter Syntax unterwerfen. Dies hat in Deutschland noch keine
Diktatur gefordert.
- Schließlich ist es Ihr Geld....
Elektronische Netze transportieren nicht nur Briefe, soviel haben auch die
politisch Verantwortlichen begriffen. Bei der Nutzung von
Verschlüsselungsverfahren geht es neben dem Brief- und Fernmeldegeheimnis
auch um andere schutzwürdige Belange.
Wer Kryptogesetze erläßt, will damit zugleich auch die Kontrolle über die
elektronischen Varianten von Transaktionsformen, für die heute noch
besondere Verschwiegenheitsrechte gelten. Deutlich macht dies das
Teledienstegesetz des IuKDG, das explizit auch Telebanking als Teledienst
definiert. Für Nutzer von Telebanking, Telearbeit und Telemedizin werden das
Bank-, Betriebsgeheimnis und die ärztliche Schweigepflicht reduziert auf das
Fernmeldegeheimnis. Das Fernmeldegeheimnis wird damit zum strategischen
Grundrecht. Ein Kryptogesetz höhlt nicht nur dieses Grundrecht aus, sondern
zugleich eine Vielzahl anderer Schutzrechte. Ein solches Gesetz wäre ein
trojanisches Pferd für den Rechtsstaat in der Informationsgesellschaft.
- Zusätzliche Probleme in der Praxis
Nehmen wir an, ein Kryptogesetz würde formuliert. Wie wäre es überhaupt
rechtsfest zu machen und wäre es praktikabel? Dabei ist auch das Gesetz zur
digitalen Signatur im IuKDG zu beachten, das einen Rahmen für asymmetrische
Kryptierverfahren andeutet. Dies führt zu charakteristischen Problemen.
- Eine Offenbarung eines hinterlegten Schlüssels an die
Sicherheitsbehörden bedeutet bei bislang verfügbaren Systemen, daß
solange eine unbegrenzte Überwachung des Schlüsselinhabers möglich ist,
wie er diesen Schlüssel unverändert behält. Dies ist selbst bei
Überwachungsmaßnahmen ein bislang ungekanntes Maß eines Eingriffs in
Bürgerrechte, dessen Unverhältnismäßigkeit auch Kryptoexperten und
Befürwortern eines Gesetzes klar ist: Kein geringerer als Otto
Leiberich, ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI), publizierte, wie durch die Einführung einer
Zeitvariable in Kryptoverfahren die technische Voraussetzung für
rechtlich vorgeschriebene zeitliche Begrenzungen der
Überwachungsmaßnahme realisiert werden müßte[4].
Können die Sicherheitsbehörden aber ein Interesse an einem
rechtskonformen Verfahren haben, das sich nicht mehr entschlüsseln
ließe, wenn Nutzer die Aufklärung schon durch ein verändertes
Systemdatum des Computers behindern können?
- Der offenbarte private Schlüssel eines Verdächtigen macht dessen
eingehenden Datenverkehr lesbar, nicht aber seine Nachrichten an
Dritte. Anhaltspunkte oder Beweise für eine Verabredung zu einer
Straftat mit Dritten lassen sich aufgrund der Eigenschaften
asymmetrischer Kryptierverfahren nur gewinnen, wenn auch die Schlüssel
seiner Kommunikationspartner offengelegt werden, unter Umständen auch
noch darüberhinaus deren Partner. Die Folge ist ein tendenziell
exponentielles Wachstum der Verdächtigen, der Fernmeldeüberwachungen
und des Arbeitsaufwandes der Ermittler. Hier kann weder von einer
Verhältnismäßigkeit der Mittel noch von einer effektiven
Ermittlungsarbeit die Rede sein.
- Mangels kompetenter Institutionen wird die Bundesregierung kaum umhin
kommen, bei der Kontrolle über die Kryptierschlüssel auf jene
Infrastruktur zurückzugreifen, die sie derzeit für Einführung und
Ausgabe der digitalen Signatur etabliert. Kein Gesetz wird den
Vertrauensverlust aufwiegen können, wenn dieselbe Instanz einerseits
private Kryptierschlüssel an staatliche Stellen weitergeben muß und
andererseits für die Sicherheit der digitalen Signatur bürgt. Gerät
nämlich die digitale Signatur in falsche Hände, ließe sich jedes
Dokument rechtlich verbindlich unterzeichnen. Die Furcht der
Bürgerinnen und Bürger wäre naheliegend, der Manipulation staatlicher
Schlüsselgewaltiger ausgeliefert zu sein. Bei derartigem
Vertrauensverlust können sich die Bundesregierung und die auf die
digitale Signatur setzenden Unternehmen die Mühen sparen.
- Ein nationales Kryptogesetz ist kaum tauglich, angemessen auf die
Probleme des für elektronische Netze typischen internationalen
Datenverkehrs zu reagieren. Um an die Kryptoschlüssel einer
"Mafiaorganisation" zu kommen, müßten in der Regel die Behörden
mehrerer Länder mobilisiert werden. Wollen uns die Protagonisten eines
Kryptogesetzes nun allen Ernstes weismachen, daß eine internationale
Kooperation bei der Herausgabe hinterlegter Schlüssel besser
funktionieren wird als die bislang absolut mangelhafte Kooperation bei
der Verfolgung von Straftaten, bei denen elektronische Netze genutzt
werden?
- Im Vergleich dazu ist es fast schon nebensächlich, wie ein Kryptogesetz
der Softwarebranche das Leben schwer macht. Um eine
Kryptogesetz-konforme Zuordnung von persönlichem Kryptoschlüssel und
Nutzer zu gewährleisten, müßten beispielsweise die Hersteller von
Internet-Browsern, die heute oft Verfahren zur verschlüsselten
Übermittlung sensitiver Daten beinhalten, in Deutschland auf die
Distribution ihrer Software per Internet verzichten und stattdessen nur
noch Softwarepakete persönlich gegen Vorlage des Personalausweises
verkaufen. Ein solcher Aufwand lohnt sich nur für wenige, was die
legale Nutzung sicherer Verfahren nicht gerade verstärken würde. Wenn
darüberhinaus unterschiedliche und damit technisch inkompatible
nationale Regelungen entstehen, bleibt der vielbeschworene globale
Electronic Commerce eine Illusion.
- Ein Kryptogesetz macht die Strafverfolger auch nicht schlauer
Mittlerweile macht sich niemand mehr etwas vor: Ein Kryptogesetz ist leicht
zu umgehen. Ein legales Kryptierverfahren läßt sich mehrmals auf eine
Botschaft anwenden, eine mit einem illegalen Kryptierverfahren
verschlüsselte Botschaft läßt sich mit einem legalen Verfahren "verpacken".
Ein Kryptogesetz ist sogar so zu umgehen, daß niemand dies nachweisen kann:
Die Steganographie und andere Verfahren zur Nutzung verdeckter Kanäle
verstecken Botschaften z.B. in Klartext-Dateien und verschleiern schon die
Existenz einer verschlüsselten Botschaft.
Von der Umgehung des Gesetzes erhoffen sich Experten der Inneren Sicherheit
sogar schon Vorteile, ließen sich doch aus dem Nutzerkreis illegaler
Kryptoverfahren ermittlungstechnisch wertvolle Rückschlüsse auf die
Organisationsstruktur des verdächtigten Personenkreises gewinnen.
Bei steganographischen Verfahren ist dieser Personenkreis niemals zu
ermitteln. Was ist aber gewonnen, wenn denn eine Gruppe von Personen
gefunden wäre, die dasselbe nicht zugelassene Kryptoverfahren nutzen? Ihre
Kommunikation ist nicht zu entschlüsseln, also muß auf andere Weise
ermittelt werden. So, wie sich heute schon Beamte durch meterhohe
Papierstapel mit den Protokollen von Telefonüberwachungen quälen, werden sie
in Zukunft Personenkreise aufwendig ausforschen müssen, die sich nichts
haben zuschulden kommen lassen, als nicht zugelassene Kryptierverfahren zu
nutzen und zufällig mit Personen zu kommunizieren, die unter irgendeinem
Verdacht stehen. Dieser Aufwand läßt sich nicht einmal mit
arbeitsmarktpolitischen Gründen rechtfertigen. Die Nutzer nicht zugelassener
Kryptierverfahren automatisch zu Verdächtigen zu stempeln, wäre also schon
unter ermittlungstaktischen Aspekten nichts als Unfug.
Aus technischer und praktischer Sicht stellt sich ein Kryptogesetz als
unsinnig und undurchführbar dar. Juristen vertreten dagegen den Standpunkt,
unerheblich von der Durchsetzung sei dem Recht in jedem Fall Folge zu
leisten. Eine solche dogmatische Auffassung ist jedoch mit einem
demokratischen Rechtsstaat nur schwer vereinbar.
- Fazit
Nach Auffassung des FIfF trägt ein Kryptogesetz zur Forcierung der nicht
gerade zaghaften Überwachung des Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik
bei. Es stellt grundrechtliche Prinzipien auf den Kopf. Es bedroht in
wesentlichem Umfang die grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte in
elektronisch gestützten Transaktions- und Interaktionsformen. Es führt in
der Praxis zu gravierenden zusätzlichen Rechtsproblemen und führt keineswegs
zu einer Erleichterung der Arbeit der Strafverfolger. Die Probleme, die eine
solche Regelung zwangsläufig hervorrufen wird, lassen sich auch nicht mit
Rechtsdogmatismus lösen. Dem schwerwiegenden Schaden für Bürgerrechte,
Demokratie, aber auch für wirtschaftliche Interessen steht ein äußerst
magerer Nutzen gegenüber. Jede rationale Bewertung müßte vor diesem
Hintergrund zu dem Schluß kommen, auf eine Kryptoregelung zu verzichten.
Daß die Bundesregierung trotz jahrelanger Beratung mit ausgewiesenen
Experten dennoch nicht von einer Kryptoregelung Abstand genommen hat, ist
entweder ein Indiz für mangelnde Kenntnis oder die mutwillige Mißachtung der
Konsequenzen.
Die einander in hohem Maße ähnlichen Regelungen der OECD, Großbritanniens,
der USA und mit ihnen die bundesdeutschen Pläne lassen sich mit den Visionen
einer globalen demokratischen Informationsgesellschaft nicht in Einklang
bringen.
- Forderungen
Statt einer Einschränkung von Kryptierverfahren ist es nach Auffassung des
FIfF notwendig:
- Die Verbreitung und Nutzung von Kryptiersystemen zu erhöhen,
- Die Nutzung von Kryptiersystemen nicht durch Einschränkung oder Verbot
zu behindern,
- Die freie Wahl von Kryptosystemen zu ermöglichen,
- Die Entwicklung sicherer Kryptosysteme zu unterstützen,
- Den Schutz elektronischer Transaktions- und Interaktionsverfahren zu
verstärken und
- Den Nutzen staatlicher Überwachung von Kommunikation einer
regelmäßigen, unabhängigen und umfassenden Bewertung zu unterziehen.
- Erste Fälle einer Überwachung von Internet-Accounts wurden bekannt in:
30.000 Telephonate mitgehört; in: Süddeutsche Zeitung, 2.12.96, S. 15
- USA: Newsweek 20.5.96, Bundesrepublik: Bt-Drs 13/3618
- Bt-Drs. 13/7341
- Otto Leiberich: Verschlüsselung und Kriminalität II, in: BSI-Forum der KES
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